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Die Rolle der COVID-19-Pandemie für den Heimvorteil im Profifußball

Seit Jahresanfang hält das Coronavirus die Welt in Atem. Während die Krise hohe gesundheitliche und wirtschaftliche Kosten verursacht, birgt sie für die Wissenschaft die Möglichkeit, sich mit Forschungsfragen auseinanderzusetzen, die im bisherigen Alltag schwer untersuchbar waren. Eine neue DICE-Studie nutzt dies und widmet sich einer strittigen Forschungsfrage aus der Sportökonomie: Welche Rolle spielt die Anwesenheit von Heimfans in den Stadien für den Erfolg ihrer Mannschaften.

Von Kai Fischer

Im Mai genoss der deutsche Profifußball besonders hohes Interesse aus Politik und Medien. Als erste europäische Eliteliga setzte die Bundesliga ihre Saison mit einem Geisterspielkonzept fort. Anhand von über 270 Geisterspielen aus den drei deutschen Profiligen ist es nun möglich festzustellen, ob Zuschauer durch ihr Erscheinen und das Anfeuern ihrer favorisierten Mannschaft diese wirklich zum Sieg leiten können. Indirekt könnte so der Ursprung des allgemein bekannten Phänomens des Heimvorteils–dass zu Hause durchschnittlich mehr gepunktet wird als auswärts–identifiziert werden. Dies hätte u.a. auch Implikationen für die Verhaltensökonomie, da dies die Relevanz von sozialem Druck und emotionaler Unterstützung auf menschliches Handeln neu beleuchtet.

VERSCHIEDENE THESEN FÜR DEN HEIMVORTEIL

Während die Existenz des Heimvorteils persistent über nahezu alle Sportarten ist, sind dessen Gründe häufig noch unklar. Auf der einen Seite werden psychologische Gründe wie ein besseres Wohlbefinden der Spieler im eigenen Stadion oder der natürliche Instinkt, den eigenen Platz gegenüber dem Gegner zu verteidigen, geographische Faktoren wie Reisestrapazen der Gastmannschaft und klimatische Bedingungen oder taktische Umstellungen als Ursachen genannt. Auf der anderen Seite steht der Einfluss der Zuschauer im Fokus – z.B. durch Fangesang, der gegnerische Spieler einschüchtert und Druck auf den Schiedsrichter ausübt oder das Selbstbewusstsein eigener Spieler stärkt.

Geisterspiele ermöglichen nun den isolierten Effekt des Ausschlusses von Zuschauern auf Spielergebnisse zu untersuchen, während zeitgleich andere Faktoren wie Reisestrapazen und Spielorte unverändert bleiben. Ein Vergleich der Performance der Heim- und Auswärtsteams vor und nach der Einführung der Geisterspiele zeigt daher den Effekt der Zuschauer auf den Spielausgang. Die Resultate stellen heraus, dass besonders in der ersten Liga, der Bundesliga, ein deutlicher Einbruch im Heimvorteil zu beobachten ist. Die Häufigkeit von Heimsiegen ging bei Geisterspielen um 15 Prozentpunkte zurück. Im Gegensatz dazu sind in der 2. Bundesliga und in der 3. Liga keine signifikanten Veränderungen identifizierbar. Einen Vergleich der Entwicklungen in den drei Ligen ist Abbildung 1 zu entnehmen.

GEWÖHNUNG AN LEERE STADIONRÄNGE

Auf den ersten Blick scheint dieses Ergebnis irritierend, da in allen drei Ligen keine Zuschauer mehr zugelassen waren, ein Effekt sich aber nur auf die Bundesliga beschränkt. Allerdings unterscheiden sich die drei Ligen in ihrem Zuschaueraufkommen. Während die Bundesliga durchschnittlich am meisten Zuschauer begrüßt und auch das höchste Auslastungsniveau vorweist, liegt es nahe, dass Spieler aus den niedrigeren Ligen eher an weniger Zuschauer gewöhnt sind und zumindest bereits einmal vor halbleeren Rängen gespielt haben. Diese Hypothese impliziert jedoch auch, dass sich Bundesligaspieler, die sich mit steigender Geister Spielerfahrung schrittweise mit leeren Stadien vertraut machen, im Laufe der Zeit ebenfalls an die Situation gewöhnen sollten. Somit dürfte der Heimvorteil kontinuierlich zurückkehren. Ein Test dieser Hypothese bestätigt diese Argumentation. Bereits während der letzten drei Geisterspieltage befand sich der Anteil der Heimsiege auch in der Bundesliga wieder auf dem Ursprungsniveau

RÜCKKEHR DER FANS OHNE GROSSEN EFFEKT

Während der Einbruch des Heimvorteils in der Bundesliga zeigt, dass Zuschauer einen relevanten Einfluss auf Spielausgänge haben, ist weiterhin die Frage offen, wie genau die Anwesenheit der Fans das Spiel prägt. Zuerst wird dafür untersucht, ob es die absolute oder relative Zuschauerzahl – sprich die Stadionauslastung – ist, die sich auf den Heimvorteil auswirkt. Tatsächlich stellt sich heraus, dass Bundesligateams, deren Stadien normalerweise besonders stark ausgelastet sind, während der Geisterspiele unter einem deutlicheren Einbruch der Leistung im eigenen Stadion leiden. Die absolute Zuschauerzahl hingegen beeinflusst Ergebnisse nicht messbar. Diese Erkenntnisse haben interessante Implikationen, u.a. für die Wirkung einer Teilrückkehr von Zuschauern in die Stadien. Zum einen haben sich die Spieler bereits in einer zuschauerfreien Umgebung akklimatisiert, sodass das Heimvorteilniveau das alte Level wieder erreicht hat. Zum anderen ist kein Effekt zu erwarten, da die Auslastung entscheidend für den Heimvorteil ist. Schließlich zeigen die Resultate, dass geringe Auslastungen keine heimvorteilssteigernde Wirkung haben. Dieser Zusammenhang zwischen Auslastung und Heimvorteil besteht nämlich erst ab einem gewissen Auslastungslevel, das z.B. in der Regel in der 2. Bundesliga und der 3. Liga vor der Krise nicht erreicht wurde.

WIRKUNGSKANAL

Zuletzt stellt sich die Frage, über welchen Wirkungskanal genau Fans den Spielausgang beeinflussen. Zwei gängige Hypothesen aus Literatur und Medien besagen, dass der Heimvorteil zum einen deshalb zurückgehe, weil Heimfans den Schiedsrichter nun weniger auf ihre Seite ziehen können bzw. der Schiedsrichter weniger durch (aufgebrachte) Zuschauer beeinflusst wird. Zum anderen verändere sich der Spielstil der Mannschaften ohne Zuschauer (z.B. eine offensiver spielende Auswärtsmannschaft). Beide Erklärungsversuche werden in der Arbeit untersucht. Wie sich zeigt, müssen die Hauptgründe für den Einbruch des Heimvorteiles in der Bundesliga woanders liegen. Schiedsrichter pfeifen zwar im Durchschnitt etwa ein Foul mehr gegen die Heimmannschaft und zeigen ihr auch eine halbe gelbe Karte mehr als in Anwesenheit von Zuschauern. Zudem schießt die Auswärtsmannschaft etwa einmal häufiger auf das Tor im Vergleich zur Heimmannschaft als vor den Geisterspielen. Jedoch bleiben diese Effekte über den gesamten Geisterspielzeitraum robust und können somit nicht die Rückkehr des Heimvorteils gegen Ende der Geisterspiel-Saison erklären. Auch können diese potenziellen Wirkungskanäle nicht die Unterschiede im Geisterspieleffekt zwischen Bundesliga und 2. Bundesliga ausmachen, denn in der 2. Bundesliga lassen sich ganz ähnliche Veränderungen bei Fouls, gelben Karten und Torschüssen beobachten wie in der Bundesliga. Somit dürften primär mentale bzw. psychische Faktoren relevant sein. Dass Heimfans den Spielern als mentale Stütze fehlen, könnte daher z.B. angesichts der Fanlagergrößen den Unterschied zwischen den Ligen erklären und auch die Entwicklung des Effekts über die Zeit, da Spieler lernen ohne Unterstützung auszukommen.

 

Neben den Implikationen für die Teilrückkehr von Zuschauern kann die Analyse auch erklären, weshalb im Zusammenhang mit manchen Stadien von Hexenkesseln gesprochen wird. Da die Auslastung statt der absoluten Zuschauerzahlen entscheidend Einfluss auf den Heimvorteil nimmt, ist erklärbar, weshalb in Relation kleinere Stadien, die aber ausverkauft sind, häufig schwer für die Gastmannschaft zu bespielen sind. Übergroße Stadien, die zumeist gering ausgelastet sind (z.B. das Berliner Olympiastadion), scheinen kontraproduktiv für Heimerfolge. Des Weiteren zeigt die Arbeit aber auch, dass in der 2. Bundesliga und der 3. Liga ein Heimvorteil über die Geisterspielphase hinweg robust ist, andere Faktoren also ebenso maßgeblich für den Heimvorteil sein können und die Zuschauerpräsenz nur ein Faktor von vielen ist. Erste genauere Analysen zeigen, dass ein derartiger Grund z.B. der Stehplatzanteil ist sowie die Existenz einer Laufbahn, die zur Distanzerweiterung zwischen Spielern und Fans führt.

Für die neue Spielzeit deuten vor allem die Akklimatisierung und die Rückkehr des Heimvorteils zum Ende der Saison daraufhin, dass nicht von einem robusten Fernbleiben des Heimvorteils auszugehen ist. Im Gegensatz zur wirtschaftlichen Perspektive, ist eine (Teil-)Rückkehr von Fans daher zumindest aus sportlicher Sicht nicht entscheidend für die Teams.

Zuletzt ist anzumerken, dass Geisterspiele nicht nur für die Analyse von Effekten auf sportliche Leistungen ein einzigartiges Untersuchungsfeld darstellen. Eine weitere DICE-Studie betrachtet z.B. die ineffiziente Berücksichtigung der Geisterspieleffekte durch Sportwettmärkte. Als Haupterkenntnis ergab sich hierbei, dass Wettmärkte weder den oben beschriebenen Einbruch des Heimvorteils in der Bundesliga noch die Unterschiede zwischen den Ligen antizipiert haben. Auch eine Anpassung der Erwartungen auf dem Wettmarkt im Laufe der Geisterspieltage – einem Lerneffekt ähnelnd – war nicht zu erkennen. Dies kann als Indiz gelten, dass diese Märkte ineffizient auf kurzfristige, unbekannte Schocks reagieren. Es bleibt spannend, welche Erkenntnisse uns die aktuelle Krise noch liefern wird.

Dieser Beitrag wurde auch im DICE Policy Brief veröffentlicht.

DICE PUBLIKATION

Kai Fischer, Justus Haucap, Does Crowd Support Drive the Home Ad-vantage in Professional Soccer? Evidence from German Ghost Games during the COVID-19 Pandemic, DICE Discussion Paper No.344, online verfügbar unter: ideas.repec.org/p/zbw/dicedp/344.html.

Kategorie/n: DICE-Meldung, Forschungkompakt
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